Gerald Grosz: Herr Kurz, der Zweck heiligt NICHT die Mittel!
Lieber Sebastian Kurz,
manch wohlmeinende Beobachter meinen ja nicht zuletzt durch gezielt gestreute Meldungen aus ihrem eigenen Umfeld, Sie verfolgen eine glasklare Strategie, Sie überlassen nichts dem Zufall, Sie machen keine Fehler. Sie wären ein berechenbares Produkt der Spin Doktoren, auf die Message Control entemotionalisiert, aalglatt, ohne eigene Persönlichkeit. Selbst der Gang zur Morgentoilette würde nicht ohne großen Masterplan vonstatten gehen. Noch wohlmeinendere Kommentatoren meinen überhaupt, jede Wachsfigur bei Madame Tussauds zeige mehr unkontrollierte Gefühlsregungen als Sie. Gut, so weit will ich bei der mediengesteuerten Mystifizierung Ihrer Person dann doch nicht gehen. Aber es stimmt schon, in Ihrer bisherigen Karriere waren Sie immer der Erste. Hut ab, beachtlich, Respekt! Jüngster Staatssekretär, jüngster Minister, jüngster ÖVP-Chef, jüngster Kanzler, erster Kanzler der die Abberufung eigener Minister erzwingt, erster Kanzler der ein Misstrauensvotum durch das Parlament erleidet, jüngster Altkanzler. Erster Altkanzler, der durch eine Expertenregierung ersetzt werden muss.
Und jetzt lese ich, Sie rattern samt der alten Tante ÖVP auf 40 Prozent in den Umfragen zu, die 50 Prozent in Reichweite, die Weltherrschaft in Griffweite. Da führt Sie also die Raffinesse wieder zum Erfolg.
Herr Kurz, das war alles eine große Strategie, das ist alles Kalkül, das ist die große Taktik auf dem Weg zur Absoluten? Während Ihr Plan zumindest in den Umfragen aufzugehen scheint, erleidet Österreich Streit und Stillstand. Während sich Ihre Berater hinterlistig die Hände reiben, sind wir – das Volk – der berechenbare Kollateralschaden einer Parteistrategie? Wir sind verurteilt, auf eine handlungsfähige Regierung für die nächsten 6 Monate zu verzichten, damit andere einen im Vergleich zum Gesamtschaden mickrigen Wahlerfolg haben? Wir verzichten auf die Steuerreform und auf die Mindestpension, damit ein paar lausige Schmalspurmachiavellisten sich abfeiern können?
Herr Kurz, der tschechische Schriftsteller Pavel Kosorin meinte einmal: „Es gibt keine gute Strategie für einen schlechten Krieg“. Ich sage: Der Zweck heiligt nicht die Mittel, oder anders ausgedrückt: Es kommt immer anders als man denkt!
Ps.: In meiner Schulzeit hatte ich es auch immer mit so sympathischen Zeitgenossen zu tun, welche immer Erster werden wollten. Sie wurden es dann auch, am Arbeitsamt!
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